SYBILLE KREYNHOP - Aufbruch in andere Sphären
Englisch Katalogbeitrag September 2003 Sybille Kreynhop, 20 Jahre künstlerische Arbeit Alfred Nemeczek, Kunstkritiker und Buchautor Früherer Kulturredakteur der Magazine „Der Spiegel" und „Stern" und stellvertretender Chefredakteur des Kunstmagazins„art" Schreibt aktuell u. a. regelmäßig für die KUNSTZEITUNG, Verlag Lindinger + Schmid, Regensburg Die Ordner werden immer voller, und gnadenlos verästeln sich die immer längeren Dateien. Wer sich vor 50 Jahren für zeitgenössische Kunst interessierte, der speicherte rund 600 Künstlernamen – im Kopf. Was damals für Kennerschaft durchaus reichte. Selbst die erste Kasseler documenta kam 1955 mit 145 international berühmten Malern und Bildhauern aus. Doch heutzutage redet keiner mehr mit, der nicht auch das Werk der mindestens 2000 seither weltweit nachgewachsenen Talente von Statur und Einfluss parat hat – der Festplatten-Kapazität sei Dank. Ob der dem Lauf der Zeit geschuldete Zuwachs an weltbekannten Protagonisten der Gegenwartskunst einen Aufschwung, gar ein Goldenes Zeitalter beschert hat, soll hier ausdrücklich unerörtert bleiben. Aber festzuhalten bleibt, dass die inflationäre Zunahme der von Medien, Forschung, Museen und Markt akzeptierten Künstler nach 1945 auch eine Veränderung des Kunstbegriffs zur Folge hatte. Vor allem seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist der Konsens über Kunst erweitert, revolutioniert und zugleich derart ins Zwielicht gerückt worden, dass sich sogar ein Museumsmann jüngst fragte: „Befindet sich ein Objekt im Museum, weil es ein Kunstwerk ist oder ist es ein Kunstwerk, weil es sich in einem Museum befindet?“ Auch der Blick auf einen klassischen Buchumschlag des russischen Avantgardisten El Lissitzky, der schon 1924 in bildhaft konstruktiver Typografie nicht weniger als 16 seinerzeit akute Kunst-Ismen attackierte, bietet da nur schwachen Trost. Denn damals ging es ja – von Kubismus über Dadaismus zu Suprematismus – immerhin noch um Innovationen, die den modernen Gänsemarsch der Stile in Gang setzten. Der lieferte zwar Stoff für viele Diskussionen, ist aber inzwischen so abgemeldet wie die bewährten Gattungen Zeichnung, Malerei oder Skulptur, die ja zuerst zum Objekt mutierte und nun allenfalls als raumgreifende Installation ihr Dasein behauptet. Immer neue Bezeichnungen für künstlerische Setzungen, Positionen und kunsttaugliche neue Medien – Performance, Kontextkunst, Video – signalisieren zugleich ein gewandeltes Rollenverständnis der Künstler. Einst unverzichtbare Kategorien wie Autor, Werk, Handschrift, Stil oder Vollendung haben für viele die Verbindlichkeit verloren. Unübersehbar ist hingegen der Drang, den Diskurs über Kunst auf die Dinge des wirklichen Leben auszudehnen und dabei selbst radikale Vorläufer wie Andy Warhol („Alles ist schön“) und Joseph Beuys („Jeder ist ein Künstler“) locker zu überspurten. Biennale- und documenta-Teilnehmer eröffnen heute in ihren Ausstellungen Bars, Hotels und Boutiquen auf Zeit, erproben sich als Dienstleister für Kommunikation und Wohlbefinden oder arbeiten als Reporter und Soziologen an Projekten, die gesellschaftliche Probleme transparent machen und politisches Unrecht attackieren. Und weil sich ihre Resultate – zumindest auf den ersten Blick – kaum noch von den Arbeiten herkömmlicher Forscher, Reporter, Sozialarbeiter oder Dienstleister unterscheiden, gehen konservative Kritiker mit der „opportunistischen Kunstmarkt- und Zeitgeistkunst von heute“ (Eduard Beaucamp) hart ins Gericht. Unübersichtlich sei die Szene geworden und von „Beliebigkeitsvirtuosen“ geprägt. Andere Rezensenten unterschreiben eine Sammelklage, die da lautet: „Anything goes“. Was – beim Wort genommen – freilich nur besagt, dass heutzutage buchstäblich alles erlaubt sei. Aber wenn tatsächlich „alles geht“, dann umfasst die Logik dieser Feststellung jedoch andererseits auch einen legitimen Freiraum für Gegen-Positionen, die zur Zeit vielleicht nicht ganz in Mode, aber keinesfalls beliebig sind. Für Positionen, die sich dem Neuen mitlebend und mitleidend öffnen, sich jedoch in einer Sprache artikulieren, die scheinbar konventionell, doch in Wirklichkeit zeitlos und unerschöpflich ist. Die Rede ist hier von der Malerei, und gemeint ist eine Künstlerin, die sich ihrem Malen seit nunmehr zwei Jahrzehnten ohne absichernde Seitenblicke auf Kunstgeschichte, Stile, Richtungen, Medien, Markt und Konkurrenten mit einer so staunenswerten Intensität und Kompromisslosigkeit hingibt, dass ihre Entwicklung sich zu einem Sonderfall summiert. Oder besser: zu einem tatkräftig geplanten Glücksfall. Denn die Hamburger Malerin Sybille Kreynhop, geboren 1951 in Neumünster, stellt mit dieser Ausstellung an ungewöhnlichen Orten erstmals ihr Lebenswerk vor - rund 300 in einsamer Tag- und auch Nachtarbeit vollendete Werke; etwa die Hälfte des bisherigen Œuvres. Es ist naturgemäß nicht die erste Kreynhop-Schau, aber es ist bei weitem die größte. Und ihre Bedeutung für Künstlerin und Öffentlichkeit übertrifft den Stellenwert herkömmlicher Retrospektiven, die ja in der Regel ein Resümee anhand bereits bekannter Arbeiten ziehen. Diese Ausstellung enthält jedoch neben einigen bekannten hauptsächlich unbekannte, zuvor nie gezeigte Bilder von Sybille Kreynhop. Mit allen Vorzeichen der aufregenden Entdeckung verbindet sich hier eine bewusst verzögerte Premiere mit dem Wagnis einer großen Konfession. Zum ersten Mal zieht diese Künstlerin nun öffentlich Bilanz. Und präsentiert nicht nur die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit dem Bild, die sich kontinuierlich, aber durchaus in Stufen vollzogen hat – vom unbefangenen malerischen Mitteilungsdrang zu einer Konzentration der Mittel auf den immer differenzierteren Inhalt. Erstmals gewährt sie auch Einblick in ihren Arbeitsprozess, der von der Emotion über die Formulierung von Gedanken in Schrift und Zeichnung zum entscheidenden Einsatz von Spachtel und Farbe auf der Leinwand führt. Und zurück verfolgen lässt sich nun auch die Genese einer äußerst eigenwilligen, konsequent durchgehaltenen Strategie, die von dieser Ausstellung auf den Punkt gebracht werden soll. Warum gerade jetzt die Probe aufs Exempel? Kreynhop: „Weil die Ausstellung jetzt eben dran ist.“ Diese lakonische Feststellung, abgelesen vom Zifferblatt einer inneren Uhr, wird zu einer Art Leitmotiv im Verlauf langer Gespräche über Sybille Kreynhops künstlerischen Weg. „Es kam eben so, wie es gekommen ist“, sagt sie. Und: „Wie es kam, war es gut so.“ Doch das meint sie weder selbstgefällig noch fatalistisch, sondern ganz sachlich: So und nicht anders empfindet sie ihre Situation. Kreynhop ist zwar eine Einzelgängerin, zählt aber keineswegs zu den oft mitleidig zitierten „Stillen im Lande“, die sich Kunstbetrieb, Weltgeschehen und Zeitgeist programmatisch verweigern, weil ohnehin keiner Notiz von ihnen nimmt. Sybille Kreynhop hat sich nie verkrochen und kannte auch keine Berührungsängste. Seit 1983 wird ihre Freie Kunst regelmäßig ausgestellt, und kontinuierlich ist sie zudem auf Kunstmessen präsent. Sie hat überzeugte Sammler und platzierte mehrere Auftragsarbeiten im öffentlichen Raum. Nur zum Kampf um den großen Durchbruch ist sie bewusst nie angetreten. Entsprechend dünn ist ihre Mappe mit Kritikerlob. Umso stolzer ist sie andererseits auf eine stattliche Reihe für ihre Arbeit wichtiger Ausstellungen in kleineren deutschen und dänischen Galerien, in einer Klinik, in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi und sogar in einem Restaurant. So war es gewollt, und dabei sollte es jahrelang auch bleiben. Teils, weil sie ihr Instinkt – siehe oben – vor Abenteuern mit ungewissem Ausgang bewahrte, teils aus einem erfreulich praktischen Grund: Seit Studientagen gibt Sybille Kreynhop lehrend weiter, was sie kann; anfangs sporadisch und inzwischen in ihrer eigenen Kunstschule. So vermeidet sie materiell die Abhängigkeit von den Launen des Kunstbetriebs und profitiert zugleich professionell vom ständigen Dialog mit Laien und Nachwuchskünstlern, die Woche für Woche ihre reiche Erfahrung nicht nur mit Fragen zu Pastell- oder Radiertechnik herausfordern. Sie selber hatte anfangs auch nur, was viele haben: eine ausgeprägte zeichnerische Begabung, die auf der Schule von einer Kunsterzieherin erkannt und gefördert wurde. Als diese Lehrerin starb und zudem der Kunstunterricht in der Oberstufe eingestellt wurde (Kreynhop: „Da war ich todunglücklich“), saß aber bereits der Stachel. Der Berufswunsch – „etwas Kreatives“ – war nicht aufzuhalten und resultierte in einem erfolgreichen Studienabschluss an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung: 1975, mit 24 Jahren, war Sybille Kreynhop examinierte Buchillustratorin und bereicherte Schul-, Märchen- und Sachbücher mit realistischen Bildstrecken in Farbe. Und entdeckte dann in einem längeren Selbstfindungsprozess um 1983 ihre wahre Berufung: Freie, von Fremdbestimmung befreite Kunst. Dass diese Häutung nicht nur lustvoll war, sondern auch schmerzhaft, deutet ihr Rückblick in einem Skizzenbuch der neunziger Jahre an: „Pastell, persönlich“, heißt es dort, „durch Kneipen gezogen, Unterwelt, Gratwanderungen getan und gefühlt, als wäre ich nur Zuschauer. Dann, glaube ich, entstand immer mehr die Malerei. Sie nahm immer mehr überhand.“ Die Bilder entstanden damals zumeist nachts und fixierten, auch im Medium der Radierung, Traumgeschichten auf Papier und Leinwand. Kreynhop: „Meine surrealistische Phase.“ Wobei diese zeichnerisch angelegten Inspektionen weder von Salvador Dalí noch von Max Ernst oder René Magritte angeregt sind. Denn das ist typisch für Sybille Kreynhops Rezeption berühmter Vorgänger: An deren Arbeiten imponiert ihr weniger die virtuose Form als vielmehr – höchst ungeschichtlich und eigenwillig – die vorbildliche Haltung, die dahinter steckt. Ganz am Anfang ihrer Karriere, beim Durchblättern eines Picasso-Katalogs, reagierte sie nicht etwa eingeschüchtert oder neidisch, sondern spontan motiviert: „Warum denn auch als Frau nicht einfach so leben und schaffen und arbeiten, und das ist okay so.“ Auch ein Otto Dix ist für sie nicht allein der kanonisierte Expressionist, sondern eher ein Kollege, dessen radikale Themen sie ermutigen, gleichfalls „wagemutig zu sein“. Und ebenso entspannt verhält sie sich zu Joseph Beuys, dessen Video-Installation „Plastisch-thermischer Urmeter“ (1984) Sybille Kreynhop in der Hamburger Kunsthalle bei jeder Wiederbegegnung als „gänsehäutend“ erlebt – ohne das Bedürfnis, ihre Faszination näher zu begründen. Als die Künstlerin den Entschluss fasste, nicht mehr zu illustrieren, sondern im Akkord, also wirklich „massenweise“, zu malen, was in ihr nach Ausdruck drängte, stand der Wind zudem günstig. „Es wird wieder gemalt“, schrieb gegen Ende der siebziger Jahre die Zeitschrift „das kunstwerk“ und zeigte expressiv-figurative Bilder von Künstlern, von denen sich einige ältere – wie Georg Baselitz, Gerhard Richter, Markus Lüpertz – nicht nur der lange herrschenden Abstraktion, sondern sogar der Pop Art verweigert hatten. Jüngere, wie die Kölner Beuys-Schüler Walter Dahn und Hans-Peter Adamski, frustrierte die Lebensferne von Konzeptkunst und Minimal Art, die in den Siebzigern dominant gewesen war. Als „Neue Wilde“ – so das diffamierende Kritiker-Etikett – setzten sie mit den Hamburger Kollegen Albert Oehlen, Werner Büttner und Martin Kippenberger auf gesellschaftliche, auch politische Wirkung ihrer beim ersten Blick kunstlos, aber dennoch frappierend aufrichtig anmutenden Bilder. In diesem Umfeld war für die Hamburger Umsteigerin Sybille Kreynhop anfangs kaum mehr drin als ein unbequemer Platz zwischen den Stühlen. Ihr ging es ja nicht um Überwindung übermächtiger Lehrer oder beengender Stile, sondern primär um ihren Wechsel des künstlerischen Rollenfachs – weg von der angewandten und hinein ins riskante Fahrwasser der ach so freien Kunst. Dabei war ihre Position autark und unsicher zugleich; auf Dauer konnte sie mit Ausdauer und dem Einsatz aller Kraft freilich nur gewinnen. Denn noch lag das Expressive und Appellative in der Luft und kam der Debütantin gelegen. Sie machte sich zwar nie Illusionen, suchte aber doch nach einer Möglichkeit, mit ihren Bildern nun mehr zu vermitteln als pädagogisch nützlichen Lehrstoff. Damals festigte sich die Überzeugung, dass „Malerei etwas bewirken und sogar Massen bewegen“ kann. Und so erfand sie Gemälde, die figurative Chiffren mit handschriftlich eingefügten Aussagen kombinierten. Die formale Schönheit ihrer expressiven Gestik sollte nicht Selbstzweck sein, sondern Denkprozesse anstoßen. In einem autobiografisch angelegten Bild von 1987 provoziert etwa die Inschrift: „Am Ende lebte ich mich doch vorbei“. Zwei Jahre später enthält eine Komposition die poetische Zeile „dieser Schmerzen voll“; noch später erscheint die Assoziationsreihe „Terror - Frieden - Eiszeit“. Von Anfang an dominiert existentielles Engagement über die originelle ästhetische Formulierung, mit der Sybille Kreynhop übrigens nie Probleme hatte. Permanente Selbstbefragung – auch in einer Reihe von kritischen Selbstbildnissen – und fortscheitende künstlerische Erkundung der condition humaine, also der Bedingungen, die den Einzelnen an persönlichen oder Welt-Katastrophen scheitern oder sie überstehen lassen, sind inzwischen zum Schwerpunkt einer Malerei geworden, die über ihre Mittel immer kompromissloser, sparsamer und dadurch souveräner verfügt. Nicht mehr nötig sind die fordernd ins Bild geschriebenen Texte. Entwickelt hat sich eine stilisierte, auf einen individuellen Code aus figurativen Wirklichkeits-Chiffren und Form-Konstellationen reduzierte Bildsprache, die sich mit wenigen Farben - etwa rot und blau – vor farblich kostbar nuancierten Bildgründen begnügt und es der Künstlerin ermöglicht, mit einer verlaufenden Schliere, einer Stör-Form in Gelb oder einem Fetzen Rot am oberen Bildrand visuelle Dramen packend zu inszenieren. Ihre Figurationen sind dabei äußerst eigenständig und oft an der Grenze zur Abstraktion, was vom Betrachter ihrer Bilder durchaus aktives Hinsehen und manchmal auch Wissen verlangt. Rot bezeichnet „Verwundbarkeit“, Blau steht oft für „Geschlossenheit in der Malerei, aber Weite der Interpretation - da ist Blau unendlich“ (Kreynhop). Auf ihrem Bild der „Wächter“ von 1995, inhaltlich abgeleitet von einer Bibelstelle, formieren sich die zunächst als amorphe Gebilde wahrgenommenen Bildelemente aus mal dicht, mal transparent aufgespachtelter tiefblauer Farbe beim zweiten Hinsehen zu drei Figuren unter einem gelben Sonnenball. Das aber nun mit einer Eindringlichkeit, die nur radikale Malerei zu erreichen vermag: Monumental, anatomisch genau und in hierarchischer Konstellation offenbart sich ein erhabenes Gleichnis zum Thema Macht. Jäh etabliert sich am rechten Bildrand nun Herrschaft und duldet vor sich außer leerem Raum nur Demutsgesten der beiden anderen Figuren. Kaum minder suggestiv ist ein Querformat von 1997, auf dem ein schwarzes, belebt wirkendes Kinderkleid auf weißem Grund irgendwie hilflos die Ärmel ausstreckt, während eine weißgraue Verwirbelung das Kleidungsstück vom unteren Rand her explosionsartig zu zerstören beginnt. Auch ohne jegliche Zusatzinformation funktioniert diese Malerei als Metapher für schutzloses Ausgeliefertsein. Doch wenn man dann erfährt, wie dieses Gleichnis ganz konkret gemeint ist, eröffnet sich mit dem Zugang zum Thema auch das Verständnis für das System, nach dem Sybille Kreynhop vorgeht und ihre engagierte Kunst organisiert. Das Bild mit dem versehrten Kleid zählt zu einem Zyklus mit dem Titel „Dunkelziffer“ – ein Fachbegriff aus der Kriminalstatistik. Sie stieß darauf durch einen Fernsehbericht über das namenlose Unglück, das männliche Sex-Touristen bis heute durch ihre fernöstlichen Ausschweifungen verschulden. In einer Szene des Films übergibt eine Frau ein kleines Mädchen im rosa Kleidchen in einer Bar einem Mann. Kreynhop: „Sie streichelte das Kind nochmal ganz lieb, und dann zog er ab mit ihr. Das fand ich doch so heftig, und das war dann auch auf einmal so präsent.“ Früher hatte sich die Malerin mit Vergangenheitsthemen wie Nazizeit und Judenverfolgung auseinandergesetzt; seit dem ersten Golfkrieg (1991) fokussiert sich ihr politisches Interesse immer stärker auf die Gegenwart. Um akutes Unrecht, Missbrauch, Verbrechen und Schicksal kreisen thematisch auch ihre „Tiere“, „Kind“, „Meereswesen“ oder „Sinne“ genannten Zyklen. Sie ersetzen zunehmend die einzelnen Bildtitel und entstehen mit offenem Ende. Manche umfassen rund 20, andere auch über 30 Gemälde. Ihr jüngster Zyklus „Werkstatt“ reflektiert einen TV-Bericht über den Vietnamesen Do Sanh, der während der amerikanischen Invasion als Kind schwer verwundet wurde und jüngst mit 35 Jahren als drogenabhängiges Aids-Opfer starb. In Sybille Kreynhops System aus Vorsatz, Vorbereitung und künstlerischem Vollzug bilden die Zyklen – andere heißen „Sonderfindung“ oder „Kacheln“ – die Konstante. Sie zwingen zur Disziplin und bestimmen den Rhythmus des künstlerischen Alltags. Denn so verblüffend, als hätte sie diesen Satz gekannt, erfüllt Kreynhops Arbeitsweise die klassischen Vorgaben einer Maxime, die der französische Dichter und Theoretiker Paul Valéry (1871-1945) in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts formulierte: „Jegliches Werk“, hat er geschrieben, „vereint in sich ein Verlangen, ein Tun, ein Denkbild, einen Stoff.“
Das Verlangen – Kreynhop nennt es „unendliche Sehnsucht“ – treibt sie zur autonomen Aktion vor der Leinwand, zum Tun, dem ein Denkbild vorausgeht, das sie nicht mehr direkt in ihre Bilder, sondern
Monolog Und Stoff liefert ihr, wie bisher, das eigene Leben, das Sybille Kreynhop („Ich bin ein gläubiger Mensch“) inzwischen bei jeder guten Gelegenheit kontemplativ und beobachtend im Freien zubringt, etwa bei Lauenburg am Ufer der Elbe. „Das Malen und Sehnen“, hat sie erfahren, „steht mit der Natur im Einklang.“ Dass solche Auszeiten keine Abstinenz von den Tagesaktualitäten bedeuten, wurde schon beschrieben. Zu ergänzen bleibt, dass sich die Malerin, bei aller Konzentration auf ihr Basismedium, auch dem Experiment nicht verschlossen hat, wenn es sich anbot. Ihre erste Installation mit Bildern hat sie schon 1992 in der Galerie F. Könning (Schleswig) gezeigt und 1995 hat sie in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi ihre Gemälde frei schwebend als Mobile präsentiert. Von einer choreografierten Performance wurde dann 1996 die Aufstellung ihrer Arbeit „Dieser Gedanke dort hinten“ im Hamburger Alsterpark begleitet. Sie besteht aus einer Tor-artigen Granitskulptur, deren Statik von stählernen Stangen bekräftigt wird, die an atomare Brennstäbe erinnern und auf ein großes Ölbild verweisen, das in einiger Entfernung – eben „dort hinten“ – aufgestellt ist. Voraufgegangen waren dieser Arbeit wiederholte Sommer-Aufenthalte in einer Steinmetzerei. Und seit über zehn Jahren entstehen nun schon die „Kacheln“. So nennt Sybille Kreynhop „nebenbei“ gemalte Bilder im schmalen Hochformat 150 mal 50 Zentimeter. Sie spiegeln ihre malerische Entwicklung und waren von vornherein für eine Installation bestimmt, die in dieser Ausstellung erstmals realisiert wird: Dicht an dicht montiert, ergeben diese Module Seitenwände, Boden und Decke eines aus nichts als Malerei gefügten Innenraums. Erproben will die Künstlerin außerdem eine Versuchsanordnung, mit der sie ihre Malerei – wortwörtlich – zum Sprechen bringt: Zu Gemälden aus ihrem Zyklus „Zwiesprache“ erscheinen auf einer weißen Leinwand Intervall-Projektionen mit Kreynhops poetischen Texten, die zu einem zweiten Hinsehen ermuntern. Möglicherweise ist aus Lautsprechern auch die Stimme der Malerin zu vernehmen. Die Schau verspricht also nicht nur substanzreich, sondern ausgesprochen abwechslungsreich zu werden – ein Beleg mehr für die Bedeutung, die ihr im strategischen Konzept der Künstlerin Sybille Kreynhop zukommt. Die Bilder sind in selbst gewählter Klausur entstanden. Aber das Œuvre war nie Selbstzweck und öffnet sich nun offensiv dem Wagnis Kommunikation. Vor der Begegnung mit einem großen, zum Schauen und Fragen bereiten Publikum ist der Künstlerin nicht bange. Mit Ungeduld erwartet sie die Bewährung ihrer nach den Regeln der Kunst entwickelten, von Lebens- und Welterfahrung inspirierten Bilder im Dialog – untereinander und mit den Betrachtern. Denen traut sie viel zu und kann sich vorstellen, ihrer Malerei eines Tages mit interaktiven Projekten auch noch „die anderen Sphären“ zu erschließen. Etwa im Kongo, „wo Kinder die Waffengewalt innehaben.“ Es gilt, so weiß sie, „immer wieder den Weg zu suchen ins Innere, zum Wachsen ins Universum, um die Sprache … ins Bild umzusetzen und dann zu schauen, wo die Wahrheit sich findet und verliert.“
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Kunstschule Atelier
Sybille Kreynhop www.kunstschule-kreynhop.de Beschreibung zum Bild unten Titel "Das Zuhören - Du musst auch mal zuhören … Sa. - Gute Gedanken" - 2015 | Bleistift, Feder, Aquarell auf Papier | 70 x 100 cm Beschreibung zum Bild unten Titel "Aufbruch" - 2014 | Öl auf Leinwand | 120 x 150 cm (Bildausschnitt) |